Motion: Entschädigung Fraktionssitzungen und Infoveranstaltungen Grundsatzdebatte und rechtliche Grundlagen
Vorstossart: |
Motion |
Vorstoss-Nr.: | M 196 |
Richtlinienmotion: | --- |
Behandlung im Stadtrat: | 17.09.2020 |
Eingereicht am: | 17.06.2020 |
Eingereicht von: | Gabathuler Leander (SVP) |
Mitunterzeichnende: |
Baumann Markus, Grob Oliver, Leiser Matthias, Rutishauser Roland, Sauter Viktor, Schneiter Marti Susanne, Wingeyer Ursula |
Beschluss Gemeinderat: | 01.09.2020 |
Aktenzeichen: | nid 0.1.6.2 / 4.3 |
Ressort: | Präsidiales |
Antrag Gemeinderat: | Annahme als Motion |
Antrag
Der Stadtrat soll über die durch das Ratsbüro eigenhändig beschlossenen neuen Entschädigungen der Fraktionssitzungen und der Inforveranstaltungen befinden.
Sofern eine Mehrheit des Stadtrates solche Entschädigungen befürwortet, muss eine rechtliche Grundlage geschaffen werden ( z.B Anpassung des Reglements über Entschädigungen für Behörden und Kommissionen).
Begründung
Seit dem Jahr 2019 gibt es zwei Wochen vor jeder Stadtratssitzung offizielle Infoveranstaltungen für die Nidauer Stadträte. Diese werden seither auch finanziell entschädigt. Neu werden ab 2020, gemäss Beschluss des Ratsbüros, auch die Fraktionssitzungen finanziell entschädigt.
Für solche Entschädigungen fehlt jedoch eine rechtliche Grundlage. Art. 5 der Geschäftsordnung des Nidauer Stadtrats besagt: "Die Ratsmitglieder erhalten für die Teilnahme an den Sitzungen ein Sitzungsgeld." Art. 8 des Reglements für die ständigen Kommissionen besagt "Die Ausrichtung von Sitzungsgeldern erfolgt nach Massgabe der vom Stadtrat beschlossenen Bestimmungen."
Im Reglement über Entschädigungen für Behörden und Kommissionen werden sodann die Grundsätze der Entschädigung geregelt. Art. 10 Absatz 3 definiert sogar: "Aktenstudium und Vorbereitungsarbeiten für die Ratssitzungen und dienstliche Besprechungen sind keine Dienstverrichtungen im Sinne dieses Artikels."
Folglich sind die neuen Entschädigungen für die Infoveranstaltungen und Fraktionssitzungen ohne rechtliche Grundlage und daher nach Ansicht des Motionärs nicht zulässig. Die Einführung solcher Entschädigungen bedarf einer Anpassung der entsprechenden Reglemente. Darüber hinaus ist der Motionär der Ansicht, dass die Entschädigungen nicht nötig sind und dass der Stadtrat über diese Grundsatzfrage ebenfalls beraten soll. Dass sich der Nidauer Stadtrat (bzw. in diesem Fall das Ratsbüro) einfach eigenhändig neue Sitzungsgelder hinter verschlossenen Türen kurzerhand einführt, ist moralisch fragwürdig. Sofern eine Mehrheit des Stadtrates eine solche Entschädigung befürwortet, soll dies wenigstens demokratisch und transparent geschehen.
Antwort des Gemeinderats
1) Formelles
Nach Artikel 49 Absatz 1 der Stadtordnung kann jedes Mitglied des Stadtrats mit einer Motion das Begehren stellen, dass der Gemeinderat dem Stadtrat ein bestimmtes Geschäft aus dem Zuständigkeitsbereich der Stimmberechtigten oder des Stadtrats zum Beschluss unterbreitet.
Die vorliegende Motion fordert in Ziffer 1, dass der Stadtrat über die Entschädigungen der Fraktionssitzungen und der Inforveranstaltungen befinden kann. Grundlage für eine entsprechende Regelung bildet das Reglement über Entschädigungen für Behörden und Kommissionen. Nach Art. 55 Abs. 1 Bst. a der Stadtordnung beschliesst der Stadtrat unter Vorbehalt des fakultativen Referendums über die Änderung von Reglementen. Ziffer 1 des vorliegenden Vorstosses als Auftrag an den Gemeinderat, dem Stadtrat eine entsprechende Revision des Reglements zu unterbreiten, damit der Stadtrat darüber befinden kann, ist somit motionsfähig.
Ziffer 2 der Motion verlangt, dem Stadtrat eine entsprechende Revisisonsvorlage nur dann zu unterbreiten, wenn eine Mehrheit des Stadtrats solche Entschädigungen befürwortet. Es stellt sich somit die Frage, wie anhand der Motion ermittelt werden kann, ob eine Mehrheit des Stadtrats die Entschädigungen befürwortet oder nicht. Der Gemeinderat versteht die Motion dahingehend, dass er bei einer Annahme der Motion dem Stadtrat eine Vorlage unterbreitet – selbstverständlich ohne das Ergebnis der Beratung im Stadtrat vorwegzunehmen. Eine Ablehnung der Motion wird so verstanden, dass sich der Stadtrat gegen die Ausrichtung der Entschädigungen ausspricht und sich somit die Unterbreitung einer Revisionsvorlage erübrigt.
2) Inhaltliche Beantwortung
Inhaltlich stellt sich die Frage, was für oder gegen die Entrichtung von Entschädigungen für den Besuch der Informationsveranstaltungen des Stadtrats und Fraktionssitzungen spricht.
Einerseits kann argumentiert werden, dass grundsätzlich die Arbeit, die für das Funktionieren unseres demokratischen politischen Systems auf allen staatlichen Ebenen erforderlich ist, auch entlöhnt werden soll. Für diese Argumentation spricht, dass die politische Arbeit allen Personen unabhängig von der persönlichen finanziellen Situation offen stehen soll. Personen, die auf einen Verdienst angewiesen sind, sollen von einem politischen Amt – nicht zuletzt auch im Hinblick auf den damit verbundenen Zeiteinsatz – nicht abgehalten werden. Zusätzlich wird in dieser Grundhaltung die potenzielle Einflussnahme von Interessensgruppen und Lobbyvertretern tendenziell eingedämmt und eine unabhängige Vertretung der persönlichen Standpunkte gestärkt, da die politische Arbeit von der öffentlichen Hand unabhängig entschädigt wird.
Auf kommunaler Ebene wird es ferner gerade für kleine Gemeinden zunehmend eine Herausforderung, Personen zu finden, die bereit sind, ein politisches Amt zu übernehmen und damit in anderen Bereichen Abstriche in Kauf zu nehmen. Unbezahlte Fronarbeit, die auf Kosten der Aus- oder Weiterbildung, der beruflichen Karriere, der Familienzeit oder allgemein des Privatlebens gehe, befriedige letztlich niemanden, so diese Sichtweise. Das Festhalten an unbezahlten Engagements kann im Gegenteil auch das Misstrauen fördern, wenn es in den Gemeinden kaum mehr Wettbewerb um politische Ämter gibt und sich nicht genügend Personen oder „nur überredete“ zur Verfügung stellen.
Demgegenüber kann Nidau stolz sein auf seine lebendige politische Kultur. Gerade die Fraktionssitzungen tragen unerlässlich zur politischen Auseinandersetzung bei und sind für einen funktionierenden Parlamantsbetrieb unerlässlich. Auch die Informationssveranstaltungen haben sich aus Sicht des Gemeinderats nicht zuletzt aufgrund der steigenden Komplexität der Geschäfte und der hohen Anforderungen an die Parlamentsarbeit als nützliche Gefässe für die politische Auseinandersetzung im Rat erwiesen, was ebenfalls als Argumente für eine Entschädigung durch die öffentliche Hand spricht.
Andererseits kann die berechtigte Frage gestellt werden, bis wie weit sich die Entschädigung von Parlamentsarbeit mit dem Milizgedanken vereinbaren lässt. Die Motivation für die Übernahme eines politischen Amtes sollte letztlich nicht finanzieller Natur sein, sondern der Wille, etwas für das Gemeinwohl zu tun. In dieser Sichtweise könnte es ein Ansatz sein, die Milizarbeit durch andere Formen der Wertschätzung verstärkt zu honorieren, anstelle die finanzielle Entschädigung zu erweitern.
Auf nationaler und kantonaler Ebene sowie in den Städten ist es vor dem Hintergrund der oben erwähnten Argumente längst eine Selbstverständlichkeit, dass die Parlamentsarbeit inkl. Fraktionssitzungen und offizielle Informationssitzungen entschädigt werden. So entrichten beispielsweise die Städte Bern und Biel Entschädigungen für Fraktionssitzungen und Informationsveranstaltungen. Beispielsweise in Lyss, Münchenbuchsee und Köniz werden hingegen nicht die Informationssveranstaltungen und Fraktionssitzungen dirket entschädigt, sondern es wird eine generelle Parteientschädigung pro Sitz im Parlament entrichtet.
Unabhängig von den unterschiedlichen Grundhaltungen, die in der Frage der Entschädigung von Informationsveranstaltungen und Fraktionssitzungen eingenommen werden kann, begrüsst es der Gemeinderat, wenn der Stadtrat anhand eines Sachgeschäfts über die Frage befinden kann, zumal es bereits geplant war, dem Stadtrat ohnehin eine entsprechende Vorlage zu unterbreiten. Deshalb empfiehlt der Gemeinderat eine Annahme der Motion und spricht sich somit dafür aus, dem Stadtrat eine entsprechende Revision des Reglements über Entschädigungen für Behörden und Kommissionen zu unterbreiten.
Stadtratsbeschluss
Ablehnung mit 10 Ja / 18 Nein
Vorstoss im Original
Typ | Titel | Bearbeitet |
---|---|---|
M196 Entschädigung Fraktionssitzungen und Infoveranstaltungen Grundsatzdebatte und rechtliche Grundlagen | 01.07.2020 |